An meine Freund*innen, Kolleg*innen und treuen Unterstützer*innen

In dieser Nachricht teile ich sehr Persönliches. Ich habe mich entschieden, mich zeitgleich per Mail, über private Kanäle und auf sozialen Medien sowie meiner Webseite an Euch zu wenden. Es ist mir wichtig, die folgenden Ausführungen transparent zu kommunizieren: Ich habe mich entschieden, bis Mitte August 2024 sämtliche Konzerte abzusagen. Ausgenommen davon sind die anstehenden Konzerte vom 29. Oktober und 10. bis 12. November, die bereits geprobt und aufführungsbereit sind. Ich bitte Euch, nach der Kernbotschaft auch folgende – für mich nicht Unwesentlicheren – Zeilen zu lesen.

Vor einer Woche war ich fast erleichtert, von einer Grippe außer Gefecht gesetzt worden zu sein: endlich ein Grund, ohne schlechtes Gewissen nicht zu üben. Am ersten richtigen Arbeitstag nach Genesung erwartete mich mein Übeprogramm – das durch eine knappe Woche Krankheit nicht weniger umfangreich und dringend geworden war. Kaum an der Orgel angekommen, sah ich mich wieder mit körperlichen Beschwerden konfrontiert, die mich seit längerer Zeit kurz vor, während oder nach dem Üben in immer kürzeren Abständen begleiten: Gelenkschmerzen und Zittern in den Fingern, Herzrasen und Verdauungsstörungen – obschon medizinisch keine Ursachen vorzuliegen scheinen.

Verbunden mit großem Pflichtbewusstsein, niemanden „hängen“ zu lassen, habe ich in den letzten Jahren solche Momente möglichst schnell weggesteckt, von Überlegungen in die Richtung dieser, die ich jetzt mit Euch teile, ganz zu schweigen. Für mich zeichneten sich in solchen Situationen jeweils zwei Lösungen ab – entweder eine baldmöglichste Besserung oder eine Entscheidung, um die Situation langfristig zu verbessern. In der naiven Hoffnung auf Besserung habe ich eine überfällige Entscheidung immer wieder auf später verschoben. Die Abstände zwischen diesen „schwierigen“ Phasen wurden aber immer kürzer. Ich habe diese Woche viele Versuche, in kleineren, kleinen und sehr kleinen Arbeitseinheiten zu einem gesunderen Üben zurückzufinden, hinter mir. Während ich diese Zeilen schreibe – und sie in regelmäßigen Abständen lösche und als belanglos und unwichtig erachte, um sie kurz darauf wiederherzustellen –, rede ich mir ein, dass es nicht daran liegt, dass ich faul geworden bin – Ihr werdet es mir wohl eher glauben als ich mir selbst…

Natürlich hätte ich eine solche Pause schon früher einplanen sollen. Leider brauchte ich viel Zeit und etliche Selbstüberlistungsversuche, um mir einzugestehen, dass die mentalen und körperlichen Probleme ihren Ursprung in meiner konzertbedingt oft unter hohem Druck stehenden Arbeit am Instrument haben. Diese Situation ist natürlich selbstverschuldet, da ich durch eine eher übermotivierte Art zu oft Engagements nicht abgelehnt habe, obwohl ich eigentlich wissen konnte, dass es zu viel würde. Über längere Zeit fühlte dies dazu, dass ich mich von der Arbeit am Instrument distanziert habe und Üben immer mehr zur Pflicht wurde, die es „abzuverdienen“ galt. Wenn andere Projekte und Verpflichtungen, z.B. im wissenschaftlichen Bereich, phasenweise großen Arbeitseinsatz verlangten, war ich froh, legitime Gründe zu haben, die Orgel zu meiden.

Ich habe die Freude an der Musik und deren Ausübung zwar nicht ganz verloren, aber der Preis ist zu hoch geworden. Nach dem Üben ist vor dem Üben – eine mentale Übeblockade folgt der anderen und bringt ihre körperlichen Auswirkungen mit sich. Die unter diesen Umständen unbefriedigenden Übefortschritte tragen zur Verschlechterung der Situation bei. Diesen Teufelskreis will und muss ich brechen.

Ich habe mich bewusst dazu entschieden, die Wahrheit zu sagen und keine rein körperliche Krankheit – beispielsweise eine Sehnenscheidenentzündung, wie ich sie vor zehn Jahren erlebte – vorzuschieben. Leider habe ich auch zu lange nie richtig mit jemandem darüber gesprochen. Wenn ich dies alles heute mit Euch teile, dann auch damit, um das Tabu, das ich in klassischen Musikkreisen bezüglich solcher Thematiken empfinde oder zu lange empfunden habe, in meinem Umfeld etwas aufzuweichen. Manche werden diese Entscheidung als mutig, andere vielleicht als feige deuten – oder nicht verstehen.

Dass ich den Beruf des Musikers auf der Bühne – oder in meinem Fall: auf der Konzertempore – nicht mein Leben lang ausüben werde, denke ich (und sage es einem kleineren Kreis auch) schon lange. Musiker zu werden, war nie mein Traum – ich bin es einfach geworden. Nicht ohne Unbescheidenheit kann ich sagen, dass ich dabei nie um Erfolge – relative und ein paar absolute – wirklich kämpfen musste, auch oder gerade im Studium nicht. So habe ich diesen Weg auch nie ernsthaft in Frage gestellt. Ich habe und hatte auch stets das Glück, nie unter Auftrittsangst zu leiden. Wenn ich nun eine Konzertpause einlege, soll es aber kein „adieu“, sondern ein „au revoir“ sein: kurzfristig schmerzhaft, aber langfristig die bessere Lösung.

Alle wissen: Im Nachhinein ist man immer schlauer. Heute weiß ich: Der Zeitpunkt meines persönlichen Nachhineins ist jetzt. Ich bedauere alle Absagen sehr, denn auf alle anstehenden Konzerte freute ich mich sehr, auf manche Werke in ganz besonderem Maße. Mit dem Gefühl, durch meine Absage viele Kolleg*innen und langjährige musikalische Weggefährt*innen im Stich zu lassen, werde ich umgehen müssen. Dennoch: Es geht nicht mehr. Ich kann nur auf Verständnis hoffen: In erster Linie von denjenigen, die in den nächsten Wochen und Monaten in anspruchsvollen Konzertprogrammen auf mein Orgelspiel zählten. Auch hoffe ich auf das Verständnis aller Kolleg*innen, in der Hoffnung, dass ich ab August 2024 immer noch gefragt bin.

Dabei möchte ich ganz deutlich sagen, dass ich weder beabsichtige, nie mehr Konzerte zu spielen, noch die Absicht habe, während zehn Monaten der Orgelbank fernzubleiben. Einerseits werde ich meine wenigen gottesdienstlichen Einsätze in Muri-Gümligen wahrnehmen. Vor allem werde ich mir aber Zeit lassen und Bedingungen schaffen, die das Entstehen neuer Lust und Freude am Üben und an der Arbeit am Instrument ermöglichen. Ich möchte mein Instrument neu entdecken, ohne Termindruck.

Schließlich möchte ich mich auch bei denjenigen entschuldigen, die in den vergangenen Wochen und Monaten in der musikalischen Zusammenarbeit oder allgemein unter Verhaltensweisen oder Entscheidungen gelitten haben, die durch meine zunehmende Ratlosigkeit, Verunsicherung und Überforderung hervorgerufen wurden.

Danke fürs Lesen und Euer Verständnis.

(28.10.2023)